Es menschelt. Nicht selten sind Konflikte emotional aufgeladen. Die Gründe hierfür können stark differieren, haben aber meist eine Verletzung von Überzeugungen und Ansichten als Ausgangspunkt. Verstößt unser Gegenüber gegen eine von uns als gültig anerkannte Norm, reagieren wir, in Abhängigkeit von der konkreten Situation, emotional. Gerade als Führungskraft gilt es, im Sinne einer nachhaltigen Konfliktbearbeitung, mit wahrgenommener Ungerechtigkeit und den daraus folgenden Emotionen angemessen umzugehen.
Im innerbetrieblichen Kontext stehen Mitarbeiter in sozialer Interaktion. So vielfältig die einzelnen Aufgaben sein können, so vielfältig sind auch die Persönlichkeiten, individuellen Interessen und Handlungsmotive der Mitarbeiter.
Ebenso vielfältig ist das Konfliktpotential, welches in der sozialen Interaktion liegen kann. In den wenigsten Fällen handelt es sich bei Konflikten um reine Meinungsverschiedenheiten auf der Sachebene. So kann die fehlende „Chemie“ zwischen Mitarbeitern ebenso zu Konflikten führen, wie auch Hierarchieunterschiede. Zusätzlich lassen sich verschiedene Konflikttypen ausmachen, etwa Ressourcenkonflikte, Zielkonflikte, Maßnahmen- und Methodenkonflikte. Auch können unterschiedliche Erwartungshaltungen und eine missglückte/ fehlinterpretierte Kommunikation mögliche Auslöser von Konflikten darstellen. In all diesen Feldern handelt es sich im Kern um soziale Konflikte. Nach Leo Montada (2005) sind alle sozialen Konflikte im Kern Gerechtigkeitskonflikte. Sie werden durch das Erleben von Ungerechtigkeit und der Verletzung des subjektiven Rechtsempfindens ausgelöst und im zeitlichen Verlauf noch verstärkt (Montada & Kals, 2013). Wird Ungerechtigkeit empfunden, so kann dies zu einer Eskalation von Konflikten führen.
Eine Vielzahl von Gerechtigkeiten
Bereits bei der Frage nach dem, was gerecht ist, wird klar, dass sich das allgemein gültige Recht und die Gerechtigkeitsvorstellungen eines jeden Einzelnen unterscheiden können. Trotz fester gesetzlicher Regelungen im Arbeitsrecht lässt sich eine Vielzahl von Konflikten erkennen, bei denen um eine unterschiedliche Auslegung vor Gericht gestritten wird. Wurde das gesetzlich bestimmte Transparenzgebot bei Arbeitsverträgen eingehalten? War eine Kündigung rechtens? Über all dies herrscht oftmals Uneinigkeit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, zu dessen Klärung die Beteiligten die Gerichte bemühen. Auch bei einer geplanten Betriebsänderung und der damit verbundenen Aufstellung eines Sozialplans wird die Pluralität von Gerechtigkeit deutlich. Denn was ist gerecht? Eine Auswahl nach Leistung? Nach Lebensalter? Nach Betriebszugehörigkeit? Geschlecht? Bedürftigkeit? Letztlich verfügt jedes Individuum über individuelle Gerechtigkeitsvorstellungen.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Immer wenn in einer sozialen Interaktion unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen aufeinandertreffen, entstehen Konflikte. Diese Konflikte können „heiß“ – also offen und/ oder „kalt“ – also verdeckt geführt werden.
Zur Entstehung des Gerechtigkeitsempfindens
Bei der Frage nach der Entstehung des menschlichen Gerechtigkeitsempfindens liefert Jürgen Maes (2003) einen wertvollen Beitrag unter Nutzung der Theorien Melvin Lerners, einem amerikanischen Sozialpsychologen. Maes geht, in Anlehnung an Lerner, davon aus, dass die Grundlagen der Gerechtigkeitsmotivation bereits in der frühen Sozialisation erworben werden.
Das Kind erlernt, augenblickliche Bedürfnisse (Lustprinzip) in sicherer Erwartung einer späteren, größeren Belohnung zurückzustellen (Realitätsprinzip). Es entwickelt hierbei einen „Persönlichen Vertrag“ mit seiner Umwelt (ebd., S. 93). Schrittweise werden gesellschaftlich akzeptierte Verhaltensweisen (bspw. Zuteilungsregeln) erlernt und internalisiert. Durch die Zurückstellung der eigenen Bedürfnisse erwächst sukzessive ein Anspruch auf eine bestimmte positive Konsequenz. „Der Persönliche Vertrag beinhaltet also die Vorstellung eines Individuums davon, was es verdient.“ (ebd.)
Maes zieht den Schluss, dass ein herausgebildeter Persönlicher Vertrag zu einer Änderung der motivationalen Basis führt: Das Kind bemüht sich nicht mehr zu bekommen was es will, sondern was es verdient.
Es überrascht nicht, dass sowohl bei Konflikten als auch bei der Sozialisation Heranwachsender die Bedürfnisse und das Gerechtigkeitsempfinden a la „ich will nur, was mir zusteht“ einen zentralen Stellenwert einnehmen (denken Sie hier etwa an einen bei einer Beförderung – aus seiner Sicht ungerechter Weise – übergangenen Mitarbeiter). Als in der frühen Sozialisation angeeignete Norm- und Wertvorstellung erwächst aus dem entstandenen Gerechtigkeitsmotiv eine handlungsleitende Erwartungshaltung darüber, wie etwas für einen selbst und auch für andere sein muss, damit es der persönlichen Vorstellung von Gerechtigkeit entspricht.
Bereits in der Kindheit und über die gesamte Lebensspanne hinweg nimmt das Gerechtigkeitsmotiv damit eine zentrale Rolle im Handeln ein. Die besonders intensiven und starken Emotionen wie Ärger oder Empörung als Zeichen für wahrgenommene Ungerechtigkeit lassen die Wichtigkeit der persönlichen Gerechtigkeitsvorstellung vor dem Hintergrund der frühkindlichen Entwicklung des Gerechtigkeitsmotivs erkennen.
Folgerungen für Führungskräfte
Nach einer vom Beratungsunternehmen KPMG (2009) durchgeführten Konfliktkostenstudie werden 30-50% der Arbeitszeit von Führungskräften für die direkte oder indirekte Bearbeitung von Reibungsverlusten, Konflikten oder Konfliktfolgen aufgewandt. Führungskräfte haben damit im besten Fall eine Schnittstellenfunktion als Moderator, Mediator oder Schlichter im eigenen Unternehmen inne.
Aus zweierlei Gründen ist das Wissen um Gerechtigkeitsaspekte für Führungskräfte daher zentral. Zum einen werden die individuellen Gerechtigkeitsvorstellungen während der frühen Sozialisation erworben. Als Handlungsmotiv besitzen sie eine zentrale und schwergewichtige Rolle in der sozialen Interaktion.
Zum anderen sind alle sozialen Konflikte im Kern Gerechtigkeitskonflikte. Und dies bedeutet für die Führungskraft eine doppelte Bürde: Neben der Klärung eines konkreten Konfliktthemas (bspw. Streit zwischen zwei Mitarbeitern) kommt dem Verfahren zur Konfliktbeilegung selbst (etwa eine Moderation, Mediation oder Schlichtung) eine zentrale Rolle zu. Wird ein Verfahren als gerecht, transparent und fair empfunden, kann dies eine Einigung positiv beeinflussen. „Bei wahrgenommener Verfahrensgerechtigkeit wird eine Entscheidung auch dann eher akzeptiert, wenn sie ungünstiger als erwartet ausfällt.“ (Montada & Kals, 2013, S. 153)
Mögliche Strategien zur Bearbeitung von Konflikten
Um die Wahrscheinlichkeit einer nachhaltigen Konfliktbearbeitung zu maximieren, gilt es sowohl die sachlich gerechte Einigung als auch die Verfahrensgerechtigkeit im Blick zu haben.
Folgende Kriterien Unterstützen einen positiven Bearbeitungsverlauf:
Die gerechte Einigung im Thema wird begünstigt durch:
- Nutzung von Emotionen als Informationsquelle für erlebte Ungerechtigkeit
- Artikulation der beiderseitigen Gerechtigkeitsvorstellungen
- Verständnis der Pluralität von Gerechtigkeit
Die Verfahrensgerechtigkeit wird begünstigt durch:
- Allparteilichkeit des Moderators, Mediators oder Schlichters
- Transparenz und Fairness in der Verfahrensführung
- Konsens und Überwachung von zu Beginn erarbeiteten Kommunikationsregeln
Fazit: Die wahrgenommene Ungerechtigkeit nimmt in der Konfliktentstehung und in der Konfliktbeilegung einen zentralen Stellenwert ein. Im Sinne einer nachhaltigen Einigung und damit einer guten Streitkultur gilt es sowohl für Mediatoren und Schlichter als auch für Führungskräfte ohne Fachkenntnis in der Konfliktbearbeitung, die Aspekte der Gerechtigkeit als handlungsleitendes Motiv zu berücksichtigen. „Ohne die wahrgenommenen Ungerechtigkeiten in Erfahrung zu bringen, wird man die Konflikte nicht verstehen. Und ohne sie zu verstehen, wird man sie nicht nachhaltig beilegen können.“ (Montada & Kals, 2013, S. 128)
Literatur:
Insam, A., Reimann, A. & Achterholt, U. (2009). KPMG: Konfliktkostenstudie - Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen.
Maes, J. (2003). Das Gerechtigkeitsempfinden und seine Bedeutung für das schulische und lebenslange Lernen. Grundlagen der Weiterbildung. Zeitschrift für Weiterbildung und Bildungspolitik im In- und Ausland 14/2003, S. 92-95.
Montada, L. (2005). Psychologie der Gerechtigkeit. In: I. Kaplow & Christoph Lienkamp (Hrsg.). Sinn für Ungerechtigkeit. (S. 150–164). Baden-Baden: Nomos.
Montada, L. & Kals, E. (2013). Mediation – Psychologische Grundlagen und Perspektiven. (3. Aufl.). Weinheim, Basel: Beltz Verlag.